24.6.19

Mein Tagebuch

Ich suche mich
im Knistern der vergilbten Blätter,
aus denen zäh die Worte fließen,
wie trübe Wachsperlen,
aus funzelhellen Wunden,
der Dunkelheit entlang.
Die Worte und Gefühle sich verweben
in schummerfarbnen, fremden Tönen
zu nebeligem Tand
aus fernen Tagen.
Bin ich das 
im zerschlissnen Tuch
gelebter Zeit?
Sah so mein Leben aus,
wie Buchstaben hier,
durcheinander wirbelnd,
Wort ergreifen?
Sind das hier meine Schritte,
die an den Schnörkeln
trockner Tinte schleifen?
Sporadisch finde ich
ein vages, fernes Ich,
verteilt auf vielen welken Seiten,
bestrebt, Erlebtes
in die Zukunft einzubringen,
um nicht das Ich
dem Ich ganz zu entfremden.
Verblättert liege ich im Buch, 
verstreut
im Klang der eignen Worte,
ich selbst, alleine mir zum Teil.
So bin ich heut,
zu späten Lebensstunden
mir fremd begegnet.

© Lisa Nicolis

19.6.19

Schlechtreden


Es könnte immerhin
viel Gutes
auf dieser Erde geben,
gäb es den einen nicht,
dem es gelingt,
auch alles Gute 
schlecht zu reden.

© Lisa Nicolis

18.6.19

Heimkehr


Die Stunden rieseln aus dem Tag
wie Sand aus einer wunden Mauer.
Der Abend liegt schon auf der Lauer
und lauscht dem letzten Glockenschlag. 


Am Horizont klafft noch ein Spalt,
durch den die letzten Strahlen weichen.
Die Sterne durch das Dunkel schleichen
wo tags die Sonne Flammen malt.

Nach Heimat duftet jetzt mein Traum,
inmitten der Akazienbäume,
der goldnen Fülle weiter Räume
und frischem Heu am Waldessaum.

In Stunden der Beschaulichkeit
bin ich dem Heideland verbunden.
Ich träum auf Schutt gelebter Stunden,
als wär ich längst vom Schmerz befreit.

Verschüttet bleibt, was längst schon weilt
in Tiefen von vergangnen Tagen.
Ich lass mich von den Träumen tragen,
denn nur im Traum bin ich geheilt.

© Lisa Nicolis

17.6.19

Morgenfrische


Parkweit grünt für mich Idylle,
Wasser zelebriert die Stille.
An den seichten, dunklen Stellen,
Schwäne zieh’n ovale Wellen.
In die Morgenfrische
Fische schnell’n
aus Wasserkreisen,
um ’ne Mücke zu verspeisen.
Wie von Sinnen
laufen dürre Wasserspinnen,
würde sagen, etwas krasser,
wie einst Jesus übers Wasser.
Hier ist’s friedvoll, voller Duft.
Säbelt Löcher in die Luft
’s Schilf am Teichrand subversiv
und ich find auch aggressiv.

Oberflächlich planscht im Teich
noch ein Rest von Morgenröte.
Aus dem Wasser quakt ein Frosch.
Oder war es doch ’ne Kröte?
So vergeht halt Stund um Stund
und es quillt auf allen Wegen
jetzt ein Mehr
von Mensch und Hund.

© Lisa Nicolis

9.6.19

Erfahrungsgeschädigt



Ich hätte soviel noch zu geben,
doch keiner will etwas davon.
Und manchmal würd’ ich auch was nehmen,
doch wer teilt mit mir das denn schon?

Den täglichen Weg, den ich gehe,
den ging’ ich so gern mal zu zweit.
Doch all diese Wege mit Nähe
sind mir dann auch wieder zu weit.

Ich will, doch ich will immer zaghaft,
weil selten ich’s auch richtig will.
Und will ich es, das ist doch lachhaft,
dann schweig ich’s den andern halt still.

Ist jemand, um mit mir zu schweigen?
Nein! Endlos nur quatscht jeder gern.
Und wieder nur Zuhörer bleiben?
Da bleib ich dem Nächsten halt fern.

© Lisa Nicolis

6.6.19

Der Baum

Ich sah den Wind, die weißen Schleier weben
und auch der Wolken schweres dunkles Tuch.
Einst schenkte mir sein Treiben Lust zum Leben,
das Dunkel aber wurde mir zum Fluch. 

Er war mir Freund, der Wind, er war Vertrauter,
er war mir Gast, beschwingt und liebenswert.
Doch eines Tages wurd er stürmisch, lauter
und fällte mich mit seinem Feuerschwert.

In meinen Träumen rauscht an meinen Zweigen
noch immer Frühlingswind in meinem Laub.
Doch lieg ich jetzt in einem See von Schweigen.
Am Ufer, meine Krone mehrt den Staub.

© Lisa Nicolis