5.Kapitel
24.4.1993.
Ein wunderschöner Samstag heute.
Ich
genieße es, dass wir hier wohnen und nicht in der Stadt. Das Gras, die Bäume
verbreiten Kühle. Verschlingen die Wärme, die mich inmitten der Stadt
erschlagen würde.
Frank
hat uns eine neue Tür organisiert. Paul wechselt jetzt die sehr lädierte
Eingangstür aus. Bei jedem Hammerschlag fällt eine Menge Mörtel ab. Eine harte
Arbeit für ihn, der das alles alleine bewältigt.
Man
hat den Eindruck, das ganze Haus wird nur von den Tapeten getragen und wenn
sich einer an die Wand lehnt, bricht der Dachstuhl auf uns rein.
Haben
von der Nachbarin, die uns gegenüber wohnt, in unserer Abwesenheit eine etwas
neuere Waschmaschine bekommen, als die von Frank. Paul hat sie in den Schuppen
gestellt, wo sie auch bleiben wird. Da kann sie überlaufen, wenn es ihr passt.
Konnte
Frank die 1000DM, die ich von meinem Sohn habe, wieder zurückgeben. Das viele
Geld bringt mir unsere schlechte finanzielle Lage zum Bewusstsein.
Anna
und Lora spielen im Hof. Die beiden verstehen sich so gut, dass es mir Spaß
macht, ihnen zuzusehen.
Ich
frage mich, wie mein Leben ohne Lora verlaufen wäre. Ob ich die Kraft gehabt
hätte, alles durchzustehen? Lora hat hier vielleicht eine bessere Zukunft als
in Rumänien. Dieser Gedanke hat mich immer aufgerichtet. Mich davon
ferngehalten, hier die Zelte vorzeitig abzubrechen.
25.4.1993.
Das Wetter ist wunderschön.
Ich
spaziere auf und ab in unserer Straße. Die deutschen Gärten sind zauberhaft.
Viel schöner als die rumänischen.
Bei
uns wurden Ziersträucher und die seit ewigen Zeiten überall blühenden
Akazienbäume z.B. beseitigt, weil man jedes Fleckchen Erde benutzte, um Gemüse
anzubauen. Mein Herz schmerzte, als die Verordnung kam, alle Kastanienbäume,
die die Straßen säumten, zu fällen und an ihrer Stelle Pflaumenbäume zu
pflanzen. Eine zwar praktische Lösung, weil man da etwas mehr zum Essen hatte
und zum illegalen Schnapsbrennen, aber im Herbst, wenn das überreife Obst auf
der Straße lag, wurde darüber hinweggetrampelt und von Bienen und Wespen konnte
man sich kaum wehren.
Genauso
war das auch in Hof und Garten. Jeder versuchte möglichst wenig Schatten zu
haben, damit das Gemüse besser gedeiht.
Zum
Glück hatten wir Platz genug, konnten uns einen großen schönen Hof leisten, der
im Sommer über und über mit Blumen bepflanzt war. Das Schönste war für mich, im
Sommer frühmorgens um fünf aufzustehen, den Hof zu fegen und danach ein
Viertelstündchen inmitten der Blumenpracht dazusitzen. Das waren die Momente,
die mir Kraft gaben, allem Bösen, das auf mich lauerte, ein wenig
entgegenzuwirken.
Hier
gibt es so viele "unnötige" Pflanzen. So recht fürs Herz und für die
Seele.
Zuhause
spielen Lora, Anna und Heike friedlich im Hof. Es ist so viel Stille.
Wie
mag das wohl in Wohldorf sein? Ich will nichtmal dran denken.
26.4.1993.
Kathrin Manke hat uns geschrieben. Ihr Vater ist schwer krank. Es tut mir
richtig leid für sie. Der nette Opa ist gut über 80, da geht es halt abwärts.
Die
Bäume und Sträucher blühen und verbreiten einen wundervollen Duft.
Habe
einen Antrag für eine Wohnberechtigung ausgefüllt. Für die Bezirke Köpenick,
Treptow, Neukölln, und Charlottenburg. Obwohl ich diese Bezirke nicht kenne,
außer Köpenick natürlich, habe ich mich spontan dafür entschieden. Hoffnung
habe ich eh keine, dass gleich morgen jemand kommt, um mir eine Wohnung
anzubieten.
27.4.1993.
Wir sind durch halb Köpenick spaziert, um einen Notar zu finden. Adrian braucht
ein Papier, aus dem hervorgeht, dass Paul auf sein Erbteil verzichtet. So dass
meine Schwiegermutter das Haus auf Adrian überschreiten kann. Pauls Onkel
droht, wenn meine Schwiegermutter stirbt, Anspruch auf unser Haus zu erheben.
Jetzt
sind wir so weit weg und doch muss ich mich wieder unter einem Hieb der lieben
Verwandtschaft winden. Ich weiß, dass der Onkel überhaupt keine Ansprüche auf
unser Haus hat, aber Geld genug, um sich alle korrupten Rechtsverdreher zu
kaufen, die ihm fiktive Akten aushändigen.
Vor
Aufregung und Hitze ist es mir recht übel geworden. Mein Gesicht brennt, mein
Kopf droht zu zerplatzen.
Wie
weit reicht der Einfluss, dem ich glaubte endlich entflohen zu sein? Werden
mich diese Leute bis an mein Lebensende mit ihrer unerträglichen
Skrupellosigkeit verfolgen?
Ich
fühle mich wieder so klein und unbeholfen, so schrecklich müde.
30.04.1993.
Habe den Antrag auf Wohnberechtigung abgegeben und hoffe, dass es uns gelingt,
bis zum Herbst eine Wohnung zu finden. Denn noch ein Winter hier wäre kaum zu
ertragen.
Was
mich am meisten stört, ist das Fehlen eines Bades. Dieses Wasserwärmen auf dem
Herd wird uns eine Menge Strom kosten. Aber wie Alakis möchte ich nicht
aussehen.
Alakis
war unser "Poet". Eigentlich kein Poet. Er kaufte und verkaufte
Bücher und wurde von den Leuten im Ort so genannt.
Alakis
lebte am Rande des Dorfes und der Gesellschaft, in einer selbst erbauten Holz-
Teer- und naja Kartonpappenhütte. Auf seine Bücher, die er irgendwo auf dem
Flohmarkt oder sonstwo besorgte, von denen mein Schwiegervater das meiste
aufkaufte, passte er peinlichst genau auf. Die durften nicht verschmutzen oder
einen noch so kleinen Riss haben.
Er
hingegen ging in Lumpen herum und lebte von der Hand in den Mund. Wie alt er
war, wusste keiner. Aber sicherlich war er jünger, als er aussah. Wenn er aber
Methusalem selbst war, dann hatte er sicherlich so 780 Jahre nach Christus das
letzte Mal im Nil, Jordan oder so, gebadet.
Wenn
er im Sommer bei uns im Hof auf der Bank saß, sammelten sich die Nachbarskinder
belustigt um ihn herum.
"Alakis, zeigst du uns deine Beine?"
Dann
fasste er mit Daumen und Zeigefinger beide Hosenbeine am Saum und hob sie bis
unter die Knie.
Die
Kinder stoben vom Anblick dieser Einmaligkeit kreischend und lachend
auseinander.
Ich
hab da nie hingesehen, aber wenn eine alte Baba dabei war, bekreuzigte sie sich
und spuckte minutenlang vor sich hin.
Sonntags
bekam er von uns ein warmes Mittagessen. Dann sagte er mir:
"Wenn
ich einmal König werde, mache ich Sie zur Küchenchefin." Viele Menschen
gab es nicht, denen er Komplimente machte.
Das
fällt mir ein, wenn ich daran denke, noch einen Winter hier verbringen zu
müssen. Doch wie man an eine neue Wohnung rankommt, das weiß ich nicht.
Unsere
Nachbarn sagen, wir stecken zu viel Energie in dieses Haus. Womöglich fällt es
dem Vermieter noch ein, unsere Miete zu erhöhen. Aber wir mögen es schön und wohnlich.
Und mit etwas muss man sich ja beschäftigen.
Paul
scheint sich nach der Italienreise gut erholt zu haben. Er ist öfter zum
Scherzen aufgelegt. Nur mit Lora gibt es die üblichen Reibereien. Die beiden
kommen miteinander nicht aus, so sehr ich mich auch bemühe, sie einander näher
zu bringen.
01.05.1993.
Paul verputzt das Häuschen von außen, wo recht große Platzwunden an den Wänden
klaffen. Wände, wie von Geisterhand zusammengehalten.
"Drück
nicht so stark gegen die Wand", rufe ich Paul zu,
"sonst
kracht uns der Dachboden in die Bude".
Dann
streichen wir die Glanzhütte weiß an. Als alles fertig ist, finde ich sie gar
nicht mehr so schlecht.
Schön
wäre es, wenn wir etwas Geld hätten, um noch ein paar Blumen zu pflanzen.
Nachmittags
sind Frank und Familie bei uns zum Kaffeetrinken.
Ich
bin wieder recht zufrieden mit meinem Leben.
03.05.1993.
Frank trägt nachts Zeitungen aus. Von einer Sammelstelle an die Zeitungskioske,
oder so ähnlich. Er bringt uns jeden Tag eine mit. Dann auch immer frische
Brötchen. Heute habe ich ihn gebeten, die Brötchen wegzulassen. Die kosten Geld
und ich fühle mich dabei nicht sehr wohl.
In
einer Zeitung habe ich einen eventuellen Job für Paul ausfindig gemacht.
Hab
ihn gefragt, ob er einverstanden ist, dass wir uns erkundigen, ob er eine
Chance hat. Er ist es. Sagt er zumindest.
Doch
als ich dann von der Telefonzelle an der Straßenecke bei dieser Firma anrufe,
wird er unruhig. Raucht eine Zigarette nach der anderen. Auch ein Fläschchen
Brandwein hat er getrunken.
Ich
weiß, er fürchtet wieder das Ungewisse. Dass er angefeindet wird und den ganzen
Mist, der uns noch von Wohldorf anhaftet.
04.05.1993.
Ich habe Paul in den Nachbarort begleitet, wo diese Arbeitsstelle liegt. Ein
weiter Weg mit der Straßenbahn durch recht weite Feld- und Waldstrecken.
Der
Chef ist aber nicht da. Wir warten eine lange Zeit vergeblich auf ihn.
Enttäuscht
fahren wir nach Hause.
Nachmittags
rufe ich wieder an. Der Chef will Paul morgen in Arbeitskleidung sehen.
Mir
hat dieser Ort sehr gut gefallen. Der Betrieb schien in Ordnung zu sein und die
wenigen Angestellten waren auch nett.
Paul
wird aber wieder nervös und wirkt etwas verloren, als ich ihm das sage.
Ich
will nicht, dass er zusagt, nur weil ich das vorgeschlagen habe. Nein, nein, er
macht das, versichert er. Aber er kann nicht mal mehr lächeln.
05.05.1993.
Heute bin ich nach langer Zeit wieder alleine zu Hause. Nach monatelangem
Zusammensein ist das ein eigenartiges Gefühl.
Ich
tue das, was ich immer mache, wenn ich alleine bin. Putzen und Ordnung machen.
Plötzlich
steht Paul in der Küche. Traurig und enttäuscht. Nie wird er in diesem Land
eine Chance zum Arbeiten bekommen. Kein Pkw, keine guten Deutschkenntnisse.
Obwohl
ich mir sicher war, dass es so kommen wird, bin ich auch etwas enttäuscht. Aber
einen Versuch war es wert. Wir müssen ja lernen, wie das mit dem Bewerben, den
Vorstellungsgesprächen, dem ganzen Drum und Dran funktioniert. Je mehr
Erfahrung wir sammeln, desto bessere Chancen haben wir. Ich empfinde jede
Niederlage als einen Weg zu einer anderen Möglichkeit. Paul hingegen fühlt das
Gegenteil von mir. Leider.
07.05.1993.
Habe von Tante Hilde, Omas Cousine, einen Teppich bekommen. Ich hab ihn zwar
gründlich warm gewaschen, aber ein paar Flecken ließ das recht kalt. Sie
beharrten, auf ihrem Stammplatz am Teppich zu bleiben. Trotzdem sieht unser
Gruselkabinett damit freundlicher aus.
Hab
den schwarzen Wandschrank von Kuhls Sohn milchkaffeefarben gestrichen. Dann mit
einem, in weiße Farbe getauchten Schwamm leicht abgetupft. Ein bizarres Muster.
Doch alle, die ihn gesehen haben, meinen, der sei toll geworden. Jedenfalls
sieht das Zimmer etwas freundlicher aus und weniger gruselig.
Mit
dem Geld sieht es aber gar nicht gut aus. Ich habe den Eindruck, diese Behörden
sind mit unserer Situation total überfordert. Ich sehe, wie sie sich
gegenseitig beraten und letztlich doch ratlos dasitzen und uns zu einem
nächsten Termin vertrösten. Unsere ständigen Umzüge scheinen in den Köpfen der
für unseren Leistungen Zuständigen eine Menge Fragen aufzuwerfen. Leider gibt
es aber keine Antworten und das müssen wir ausbaden.
08.05.1993.
Zum Muttertag hat mir Lora drei voll erblühte kleine Kakteen geschenkt. Die
sind wirklich wunderschön.
Habe
eine Menge Schreibkram zu erledigen. Wie ich feststellen muss, ist hier in
Deutschland das Allerwichtigste wohl ein Schreibtisch. So habe ich mir in einer
Ecke unseres skurrilen Panoptikums eine Büroecke eingerichtet.
Heute
Morgen war ich noch total depressiv.
In
den letzten Tagen gab es einen Waschmaschinenstreik, einen Kurzschluss am
Elektroherd, einen am altersschwachen Boiler. Und was ich ganz schlimm fand,
eine Müllansammlung in dem kleinen Schuppen, der wir nicht mehr Herr werden
konnten. Der Vermieter hat noch immer keinen Vertrag mit der Müllabfuhr und das
scheint ihn auch nicht zu stören. Zum Glück nimmt jetzt Frank immer ein paar
Säcke mit, um sie unterwegs zu entsorgen. So wird man zum Umweltsünder…
Paul
hat die Waschmaschine und den Kurzschluss wieder in Ordnung gebracht. Über die
Waschmaschine freue ich mich ganz besonders, denn ohne sie könnte ich mir mein
Leben nicht mehr vorstellen.
Zwischendurch
hat er mich auf den Dachboden gerufen. "Schau dir mal diese Sauerei
an!"
Ich
bin wie vom Donner gerührt. Der ganze Dachboden ist voller Kabelgewirr und
darüber Matratzen und Schaumstoffteile in einem heillosen Durcheinander. Ein
Funken hier oben und wir würden wie Weihnachtskerzen brennen.
Es
dauert Stunden, bis Paul die Kabelenden, die vom Telegraphenmast und die, die
in die Wohnung führten, findet. Dann muss er das Ganze kürzen. Den Rest von
-zig Metern überschüssiger Stromautobahn bringt er in den Schuppen.
Kein
Wunder, dass er klitschnass und fuchsteufelswild ist.
10.05.1993.
Jetzt, wo es keine großartige Arbeit mehr gibt, fühle ich mich unglücklich. Ich
weiß nicht recht, mit was ich meine Freizeit ausfüllen könnte.
Ich
stelle mir immer öfter die Frage, wie es weiter gehen soll?
Scheinbar
bleibt mir nichts anderes übrig, als mich zu gedulden und die Dinge an mich
rankommen zu lassen.
11.05.1993.
Kuhl ist hier. Er weiß gar nicht, wo er hinsehen soll. Er kann kaum glauben,
was er sieht. Lobt uns in den höchsten Tönen.
Dann
schwatzt er mir eine Haftpflichtversicherung auf. Ich glaube, das war der Grund
seines Kommens. Und da ich keine Ahnung habe, was eigentlich so eine Haftpflichtversicherung
ist, weiß ich auch nicht, ob die mir oder ihm zugute kommt.
Jetzt
wird er nach Frankreich verreisen. Wenn er zurückkommt, dann dürfen wir ein
Wochenende in seinem Ferienhaus, irgendwo in Brandenburg verbringen. Natürlich
hätten wir da einiges in Ordnung zu bringen, sagt er so nebenbei. Aber dafür
können wir dort gratis wohnen.
Als
er geht, bekomme ich eine Riesensehnsucht nach meinen Kindern, den
Geschwistern, den Menschen, die mir nahe stehen. Nein, es ist kein Heimweh. Es
ist Menschenweh.
Und
es fällt mir erstmals auf, dass die Menschen hier doch so anders sind als zu
Hause. Wir sind hier noch keinem böswilligen Menschen über den Weg gelaufen.
Alle, die wir kennen gelernt haben, waren liebe, nette Menschen. Trotzdem
anders. Anders, weil sie eine andere Vergangenheit, eine andere Lebensweise,
eine doch andere Mentalität haben.
Ich
habe heute eine ganz neue Einsicht in mein eigenes Empfinden entdeckt.
15.05.1993.
Wie Tränensäcke hängen diese Wolken über uns am Himmel.
Ich
bin in einer weinerlichen Stimmung. Bin gereizt und kleinlaut. Lora und Paul
scheint es ähnlich zu gehen. Oder stecken wir uns gegenseitig an?
Teils
möchte ich mich wie ein Maulwurf in die dunkelste Ecke des Universums
verdrücken. Teils sehne ich mich nach menschlichen Kontakten.
Trotzdem.
Wenn jetzt jemand zur Tür herein käme, würde ich Giftpfeile schauen.
Was
will ich eigentlich?
Meine
Gedanken überschwemmen mich unlogisch und unchronologisch. Ich hüpfe von da
nach dort. Ich frage mich, wieso hat der liebe Gott in unserem Gehirnwirrwarr
diese Gedankenzweige so wuchern lassen? Ohne Früchte zu tragen. Ohne zu einem
Schluss zu kommen.
Stutzen
müsste man sie können, wenn sie zu sehr wuchern. Alles Unnötige ratz-fatz
absäbeln.
16.05.1993.
Sind alle Menschen so komisch wie ich? Gestern deprimiert und verloren, heute
bereits gut gelaunt und zuversichtlich. Das Geldproblem ist noch nicht gelöst,
doch Frau Storm aus dem Sozialamt hat mir Hoffnungen gemacht. Nach dem
Telefonat mit ihr bin ich zum Einkauf gegangen und am Nachhauseweg habe ich
einen ungewohnten Weg durch diesen wunderschönen Park genommen. Der kleine
Spaziergang hat mich irgendwie innerlich gesäubert. Ich müsste das öfters tun.
Doch weder Paul noch Lora sind zu einem Spaziergang zu bewegen. Sie haben nicht
das Bedürfnis, etwas von der Welt zu sehen. Ich schon. Aber ich möchte mein
Erlebnis immer mit jemandem teilen können. Alleine loszuziehen, ist für mich
nicht so das Richtige. Um alleine loszugehen, bräuche ich eine Extraschubkraft.
Die habe ich nur, wenn mich jemand begleitet.
18.05.1993.
Seit ich mit Paul zusammen bin, vermisse ich das Gefühl, mich an jemanden
anlehnen zu können. Er ist hilfsbereit, zuverlässig, kann auch warmherzig sein.
Das allerdings eher mit jedwelchen Außenstehenden mehr als mit Familienmitgliedern.
In
den Arm genommen zu werden, jemanden in den Arm zu nehmen, das kennt er nicht.
Ihm wurde das nie zuteil. Er kann es nicht begreifen, dass es mir gut tun
würde, hin und wieder nur wortlos eine Zärtlichkeit einheimsen zu dürfen.
Natürlich
sind Lora und ich ein Herz und eine Seele. Natürlich tauschen wir
Zärtlichkeiten aus. Doch die Geborgenheit, die man in der Gegenwart eines
Erwachsenen fühlt, die fehlt mir.
Heute
muss ich schon wieder zum Sozialamt rennen. Eine Erklärung schreiben, warum wir
nach Berlin gekommen und nicht in Brandenburg geblieben sind. Ich frage mich
danach, wenn mir mal was passieren sollte, was wird Paul dann alleine tun? Ich
weiß, dass seine Deutschkenntnisse sehr mangelhaft sind. Natürlich muss ich
alles erledigen. Oft aber habe ich den Eindruck, ich breche zusammen unter der
Last der Sorgen, die ich mit ihm nicht teilen kann. Er mag zwar auch an die
Zukunft denken, mag sich auch Sorgen machen, aber er verlässt sich auf mich.
Handeln mag er und kann er auch nicht. Eine Entscheidung treffen, das fällt ihm
auch schwer. Das überlässt er alles mir.
19.05.1993.
Wohnbewilligung bekommen. Was das jetzt genau bedeutet, weiß ich auch nicht so
recht.
Paul
und Lora vertragen sich wie Hund und Katz. Das bringt mich oft zum Verzweifeln.
Ich versuche immer, mit beiden separat zu sprechen. Lora erkläre ich, dass ihr
Großvater sie liebt und dass er froh wäre, wenn sie ein wenig zugänglicher
wäre. Ihm versuche ich beizubringen, mit der Kleinen locker und eher
humorvoller umzugehen. Er ist ihr gegenüber angespannt, weil er bei jedem
seiner Worte fürchtet, Lora wird ihn angreifen. Er aber wirft mir vor, dass ich
Lora zu viel erlaube. Dabei ist es so, dass Lora sich mir gegenüber korrekt
verhält. Ich muss sie nicht tadeln. Im Vergleich zu den Kindern um uns herum,
ist sie einfühlsam und respektvoll. Wenn aber diese Atmosphäre von Stirnrunzeln
und böse Dreinschauen aufkommt, wenn das Fluchen und Nörgeln wieder losgeht,
dann kann ich es dem Kind nicht übel nehmen, wenn es selbst davon angesteckt wird.
Erziehung heißt für mich in erster Linie, einem Kind das vorzuleben, was man
von ihm einfordert.
20.05.1993.
Das Beste gegen Depressionen und einem Gefühl der Einsamkeit ist, einen Kuchen
zu backen, Kaffee zu kochen und die Nachbarn einladen. Dann ist das Problem
gelöst. Denn wenn sie gehen, genießt man die Einsamkeit wieder in vollen Zügen.
21.05.1993.
Frau Engler ist mit ihrem Mann zu Besuch. Er sieht wie Abraham Lincoln aus.
Sehr sympathisch. Ich freue mich riesig über diesen Besuch. Leider bleiben sie
nicht lange. Aber es ist eine schöne kleine Abwechslung gewesen.
Lora
fühlt sich hier pudelwohl. Sie erklärt mir, dass sie von hier nie mehr weggehen
will. Ich muss schlucken. Natürlich werden wir von hier weggehen müssen.
Erstmal aber lass ich ihr ihre ungetrübte Freude.
27.5.1993.
Frank hat uns zum Grillen eingeladen. Es fällt mir immer wieder auf, wie wohl
sich Paul unter anderen Menschen fühlt. Er ist hier ein ganz anderer als zu
Hause. Ich bin, weiß Gott, kein unmöglicher Mensch. Bin nicht streitsüchtig,
bin nicht nachtragend, versuche für jeden Menschen Verständnis aufzubringen. Zu
meinen Kindern, zu den Enkelkindern, zu (manchen)Verwandten und allen Freunden
hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Auch wenn vieles mich gestört hat, war
ich immer bemüht, jeden zu respektieren. Nur mit dem eigenen Mann will das
nicht klappen. Wir passen überhaupt nicht zueinander. Und trotzdem laufen wir
nebeneinander her, als wären wir aneinander gebunden. Von Liebe kann
wahrscheinlich keine Rede sein. Von gegenseitigem Respekt wohl auch nicht. Es
gibt keine Gemeinsamkeiten, keine gemeinsamen Interessen, kein gemeinsames
Aneinemstrangziehen. Was ist es dann? Angst vor dem Alleinsein auf beiden
Seiten?
28.5.1993.
Carina hat mir einen Brief geschrieben. Sie hätte eine Wohnung für uns. Mit
einem schönen Bad und großer Küche. Nur gäbe es da einen blinden alten Mann zu
pflegen.
Nein,
das will ich nicht mehr. Ich habe mich lange genug mit alten, schrulligen
Menschen herumgeplagt. Mich von ihnen herumkommandieren und herumschubsen
lassen. 30 Jahre hindurch reichen. Jetzt werde ich selbst langsam alt. Und ich
will nur noch frei sein.
Carina
bin ich trotzdem dankbar. Sie ist wirklich von den alten Bekannten die Einzige,
die sich um uns kümmert und uns ständig irgendwo eine Unterkunft sucht. Es ist
wohl so, dass man in der Not wirklich den guten Freund erkennt.
31.5.1993.
Habe heute Oma ein Eis gespendet. Sie mag das so gerne. Wir sitzen im Hof bei
ihr. Nach einer Weile merke ich, es ist sehr still. Erst nach und nach erfahre
ich, dass sie sich mit ihrer Schwiegertochter gezankt hatte. Etwas wie Frieden
breitet sich über mich aus. Ist das schön, alleine zu sein. Keine
Schwiegermutter, keine sonstigen Störenfriede.
Spiele
mit Lora und Anna ein Ballspiel.
Fühle
mich danach etwas besser. In den letzten Tagen hatte ich eine seltsam gedrückte
Stimmung. Ich war so intensiv in meine Vergangenheit zurückgekehrt, dass ich
die Gegenwart kaum ertragen konnte.
1.6.1993.
Es ist schrecklich. Seit es keine Behördengänge mehr gibt, seit das Haus soweit
in Ordnung ist, fehlt mir etwas. Ein Aufgabe, die mich ausfüllt. Ob mit schönen
oder weniger schönen Dingen.
Es
ist zu viel Zeit da. Und ich fühle sie sinnlos an mir vorbeiziehen. Die
Hausarbeit ist so schnell getan. Danach flüchte ich mich ins Gruselkabinett und
schaue Fernsehen. Ich merke, wahrscheinlich unbewusst angeregt von den
Werbungen für Süßigkeiten, ich nage immer an irgendwas rum. Ich glaube, ich
habe zugenommen.
Paul
hat es besser. Er hilft Frank beim Umbau des Hauses. Hat den Schornstein schon
abgebaut und eine Wand in Nullkommanichts abgerissen. Frank staunt über Pauls
Bärenkräfte. Und Paul ist in seinem Element. Er kann arbeiten und wird gelobt.
Mehr braucht er nicht. Gelobt werden, ist das Beste. Wenn es die andren nicht
tun, dann macht er es selbst.
2.6.1993.
Eine Debatte im Fernsehen zwischen Deutschen und Türken über Integration. Ich
mag solch kontroverses Debakel, das für mich eben nur eine unterhaltsame Note
hat und meiner Meinung nach im realen Leben kaum was bringt.
Erinnere
mich an meine gute Renate in Rumänien. Sie kam aus Köln, behauptete, sie könne
sich Deutschland nicht mehr ohne Türken vorstellen. Ohne dem Gemüsehändler, der
Dönerbude. Ich glaubte ihr das gerne.
Dann
aber sagte ich mal so was wie "ich als Deutsche" und sie sah mich
erstaunt an. "Du bist doch keine Deutsche, du bist Rumänin."
"Bin
ich nicht. Meine Vorfahren kamen aus dem Schwarzwald, meine Eltern sind
Deutsche. Wir sprachen zu Hause deutsch, ich ging in deutsche Schulen, besuchte
das Deutsche Theater und las die deutsche Zeitung. Und ich fühlte mich nie als
Rumänin"
"Du
bist aber in Rumänien geboren, also bist du Rumänin."
Ich
musste lächeln.
"Also
dein Ali vom Gemüsestand wurde in Deutschland geboren. Er oder seine Kinder
werden irgendwann mal deutsche Staatsangehörige sein. Ali wird seine
Muttersprache weiter sprechen, seine Traditionen weiter pflegen. Und du würdest
ihn nach dreihundert Jahren Integration doch noch immer den Türken nennen. Und
nicht sagen, Ali, der deutsche Gemüsehändler um die Ecke. Auch wenn er sich
noch so integriert hat. Meinst du nicht, dass in meinem Fall das Gleiche
zutrifft? Ich bin hier geboren, rumänische Staatsangehörige, aber ich bin eine
Deutsche."
Sie
schüttelte ungläubig den Kopf. "Also meiner Meinung nach bist du eine Rumänin."
Warum
war es für sie so wichtig, mich in eine bestimmte Schublade zu stecken? Für
mich mag es wichtig sein, dass ich mich zum Deutschtum bekenne. Das schließt
aber nicht aus, dass ich in Rumänien hundertprozentig integriert war, dass für
mich Rumänien meine Heimat ist und bleibt. Dass ich dieses Land immer lieben
werde. Aber das ist meine Sache. Für sie hätte es egal sein müssen. Ich bin ein
Mensch und aus. Dass ich mich gerade zum Deutschtum bekannt hatte, war ihr aber
doch zu viel. Von irgendwo hat sie was von "Toleranz",
"Integration" mitbekommen, etwas von "Gleichberechtigung"
gehört und das alles interessant zum Nachplappern gefunden. Aber im Inneren
sieht es doch anders aus. Ali darf Türke sein. Wird es immer bleiben dürfen.
Ich aber muss Rumänin bleiben. Deutsch darf nur sie sein.
Es
reicht nicht, Integration einseitig zu betreiben. Die müsste auch in den Köpfen
der Deutschen stattfinden.
Die
Fremden versuchen sich einigermaßen zu integrieren, ohne dass es ihnen total
gelingen wird. Denn mit einer Faser ihres Herzens werden sie immer irgendwo
außerhalb einer neuen Heimat hängen. Aber der Einheimische wird sie in seinem
Kopf auch nie richtig integrieren wollen. Sie werden immer "der
Türke", "der Rumäne", "der Russe"...sagen. Nicht der
Nachbar, der Freund, der Bekannte, der Gemüsehändler um die Ecke. Es wird immer
der Türke um die Ecke bleiben. Und in meinem Fall "die Rumänin"
sicherlich. Wenn man alles noch so schön redet, eine gewisse Distanz wird auf
beiden Seiten immer bestehen. Man sollte nur dazu stehen. Daraus keinen Hehl
machen, es aber auch nicht ausarten lassen.
4.6.1993.
Wenn Frank nicht wäre, würden wir sicherlich verhungern. Unsere Sachbearbeiter
sind durch unseren Umzug und der Italienreise so durcheinander, dass sie nicht
weiter wissen. Vom Sozialamt haben wir noch keinen Pfennig bekommen. Und in der
Tasche haben wir auch nichts mehr. Das scheint den Ämtern aber nicht genug zu
sein. Es müssen Anlagen und Unterlagen geklärt werden. Wie lange noch?
Paul
arbeitet schon seit Tagen für Frank. Der hat ihm heute 150 DM in die Tasche
gesteckt. Wir schämen uns etwas, das Geld angenommen zu haben. In Rumänien
hätte Pauls Einsatz als Nachbarschaftshilfe gegolten. Doch hier sind wir auf
dieses Geld angewiesen. Auch wenn wir uns dabei noch so schlecht fühlen.
Von
Paul sehe ich den ganzen Tag fast nichts. Von Lora übrigens auch nicht. In
Rumänien hatten die Kinder, seit ich zurückdenken kann, eine Menge Hausaufgaben
zu machen. Selbst in den Ferien musste man eine Menge Bücher lesen, von den
mathematischen Aufgaben ganz zu schweigen. Hier gibt es keine Aufgaben. Also
ist Lora den ganzen Tag bei ihren Freundinnen.
Mit
Oma kann ich kaum stundenlang sprechen. Es gibt da keine Themen, die uns beide
gleichermaßen interessieren würden. Den Männern kann ich nicht helfen. Da stehe
ich nur im Weg.
Ich
fühle mich hilflos und unnütz. Das Einzige, das mir gut gelingt, ist das
Grübeln.
Ich
frage mich, ob es gut wäre, zurückzukehren. Doch ich weiß, was mich drüben
erwarten würde. Paul würde seine alten Freundschaften wieder entdeckten und
damit die alten Saufgewohnheiten. Ausziehen könnte ich nicht, weil man in
Rumänien nicht einfach so eine Wohnung nehmen kann. Wenn ich meine alte
Arbeitsstelle wiederbekommen würde, könnte ich mir vom Lohn monatlich ein paar
billige Schuhe kaufen. Aber nichts zum Essen. Weil es dafür nicht reichen
würde. Um mir ein kleines Zimmer einzurichten, müsste ich ein halbes Leben
lange arbeiten. Dort bekommt man nicht so einfach eine Matratze oder einen
Wandschrank geschenkt wie in Deutschland. Ich glaube kaum, dass man ein Leben
da beginnen kann, wo es irgendwo aufgehört hat.
Ich
weiß, was mich in Rumänien erwarten würde. Ich weiß aber nicht, was mich noch
in Deutschland erwarten könnte. Vielleicht ist es dieses Ungewisse, hinter dem
ich noch etwa Lebenswürdiges erwarte. Nach Rumänien kann ich auch später
zurückkehren.
12.6.1993.
Seit dem ersten Tag, an dem ich bei meinen Schwiegereltern eingezogen war,
hatte ich nur einen einzigen Gedanken: auszubrechen. Dreißig Jahre lang. Vor
unserer Ausreise war dieser Wunsch gar nicht mehr so groß. Vielleicht hat mich
auch der Strom des Auswanderns mitgerissen. Wenn ich zurückdenke, glaube ich
doch, dass es ein Schicksal geben muss. Ich habe wie fremd gesteuert gehandelt.
Oder scheint es mir nur so, weil ich erstmals im Leben selbst eine Entscheidung
für mich getroffen hatte? Vielleicht bin ich nur über den eigenen Mut
betroffen. Und will es dem Schicksal ankreiden.
Jetzt
merke ich erst, wie eng der Kreis war, aus dem ich ausgebrochen bin. Ich lebe
irgendwie gedanklich noch immer in diesem engen Kreis. Oft fühle ich mich wie
in einem Albtraum gefangen. Wenn man in einem Traum laufen will, kommt man
nicht vorwärts. So ähnlich geht es mir jetzt. Ich möchte mich in eine bestimmte
Richtung bewegen und ich komme nicht voran. Außerdem weiß ich von diesen
verflixten Möglichkeiten, die es in diesem Land sicherlich für jeden Menschen
geben muss, so gut wie gar nichts. Ich lebe wahrscheinlich in einem Loch, aus
dem es ungezählte Möglichkeiten gibt, hinaus zu kommen. Doch ich sehe sie
nicht. Ich sehe sie einfach nicht.
15.6.1993.
Mein Geburtstag. Na, Prost! Lora gratuliert mir. Paul gratuliert mir. Das Fest
ist zu Ende.
Habe
zwar nie Wert auf Geburtstage gelegt, aber es wird mir jetzt erst bewusst, dass
mir meine Familie fehlt. So, wie ich sie mal hatte.
Mein
Geburtstag war der Tag, an dem mein Vater anreiste, mich zum Fabriktor rufen
ließ, mir die obligatorische Tüte Erdbeeren aus dem eigenen Garten und einen
Strauß himmlisch duftender Nelken überreichte. Ich nahm ihn ins Büro hoch. Er
begrüßte meine Kollegin, wollte nie Platz nehmen, weil er sich in fremder
Umgebung nicht wohl fühlte. Es fielen einige Sätze und weg war er.
Er
war weg, aber nicht in den Köpfen meiner Kolleginnen. Die, wenn sie hörten,
mein Vater ist da, herbeigeströmt kamen, ihn nur kurz zu sehen, um später den
ganzen Tag von ihm schwärmen zu können. Und ich war so riesig stolz und froh,
dass mein Geburtstag eine ganz andere Wendung nahm. Eine, in der nicht mehr ich
die Hauptperson, aber auch nicht unbeteiligt war. Schließlich war es mein
Vater, der die Welt ein wenig durcheinander brachte.
21.6.1993.
Wenn ich die Stellenanzeigen verfolge, fühle ich mich so unscheinbar wie noch
nie. Überall werden super ausgebildete Menschen gesucht. Ich war Lohnbuchhalterin.
Als solche müsste ich hier irgendwelche Kurse belegen. Um dem deutschen
Standard zu entsprechen. Kann ich meiner Augen wegen nicht. Außerdem würde ich
nie wieder in einem Büro sitzen wollen. Denn, solange ich im Büro gearbeitet
habe, konnte ich nur mit Schmerztabletten und Beruhigungstabletten meine Arbeit
meistern. Dahin zurück will ich nicht wieder.
Der
einzige Traumberuf, den ich hier ergreifen kann, ist der einer Toilettenfrau.
Übung habe ich nach den verschiedenen Heimaufenthalten ja zur Genüge. Würde
sagen, da bin ich schon überqualifiziert.
Schöne
Aussichten!
22.6.1993.
In Wohldorf hatte ich einen einzigen Gedanken, raus aus dem Heim. Ich wünschte
mir ein noch so hässliches Häuschen, aus dem ich mir ein Heim schaffen kann.
Das hässliche Häuschen habe ich, aber ein Heim wird draus nicht.
Zu
einem Heim gehört in erster Linie menschliche Wärme, Liebe und ein sich
gegenseitiges Respektieren. Dann müssten es gesunde Wände sein, ein heiles
Dach, Geruch von Sauberkeit. Das alles fehlt mir. Ich denke mit Grauen daran,
dass wir hier vielleicht noch einen Winter verbringen müssen.
23.6.1993.
Es regnet, es ist kühl. Der Wind bläst herbstlich. Die Blumen, die ich gesät
habe, werden wohl nie mehr blühen. Teils freue ich mich, dass ich nicht die
große Hitze zu ertragen habe.
Bin
verzweifelt, dass ich mich mit Paul gar nicht mehr vertrage. Es liegt an uns
beiden. Ich bin wahrscheinlich auch nicht mehr tolerant, wie ich es einmal war.
Meine Geduld reißt schneller als früher.
Ich
bin in einem Alter, in dem man nicht mehr an den Märchenprinzen glaubt. Selbst
wenn der käme, ich wüsste nicht, was ich mit ihm anfangen soll. Ruhe möchte ich
haben, Verständnis, Kameradschaft. Das wird mir in diesem Leben nicht mehr
zuteil.
Die
Arbeit bei Frank hat Paul ein riesiges Selbstvertrauen gegeben. Das wäre alles
nicht schlimm, ganz im Gegenteil, ich würde mich darüber freuen. Wenn er nur
nicht so sehr von sich selbst eingenommen wäre. Alles was er tut, ist einmalig,
korrekt. Ohne ihn hätte Frank das alles nie geschafft, prahlt er.
Wir,
das Wenige, das wir haben, ohne Frank auch nicht, finde ich. Doch ich ziehe es
vor, zu schweigen.
Was
ich tue, das stört ihn. Egal wie ich es mache, ich kann es ihm nicht recht
machen. Eine eigene Meinung darf ich schon längst nicht äußern, wenn ich
Frieden haben möchte. Jede noch so kleine Meinung von mir wird als Kritik
bewertet und löst einen Streit aus. Also schweige ich mich aus. Um des Friedens
Willen.
24.6.1993.
Morgens bin ich immer sehr deprimiert. Ich muss langsam einsehen, dass wir hier
nicht weiterkommen werden. Ist der Deutschlandtraum vielleicht schon
ausgeträumt?
Ich
merke, wie ich den Menschen gerne aus dem Weg gehe. Weiß, dass es nicht in
Ordnung ist, aber ich kann es nicht anders. Wenn ich bloß jemanden hätte, mit
dem ich mich so richtig aussprechen könnte. Von dem ich einen konkreten Rat
bekommen könnte. Der mir die Augen öffnet über Dinge, von denen ich keine
Ahnung habe.
Loras
letzter Schultag. Das Zeugnis ist nicht so hervorragend, aber ich weiß, dass
sie sprachliche Schwierigkeiten hatte. Hauptsache ist, dass sie gesund und viel
vernünftiger geworden ist.
26.6.1993.
Es ist es sehr kalt, windig, regnerisch. Ich fühle, dass mich eine Erkältung
erwischt. Dieses Herumsitzen in der Kälte kann auch zu nichts anderem führen.
Mit
Lora spielen wir im Hof mit dem Ball und danach Mühle. Dann ist sie wieder
verschwunden.
Ich
weiß, dass ich mit ihr etwas unternehmen müsste. Aber ich weiß nicht mal, was
ich mit mir selbst tun könnte, um wieder mit der Welt im Reinen zu sein. Ich
bin wie gelähmt. Selbst meine Fantasie streikt.
29.6.1993.
Ich hasse dieses Haus. Diesen Klogestank, diesen Rauchgeruch. Ich hasse es,
weil es in die Erde zu versinken droht, weil es nach Mittelalter und
Hoffnungslosigkeit riecht.
Ich
kann es mir nicht mehr vorstellen, wie es ist, täglich unter der Dusche zu
stehen. Ich wäre froh, wenn ich es einmal in der Woche, ja sogar einmal im
Monat könnte.
Wenn
ich wenigstens Geld verdienen könnte, mit einer noch so schäbigen Arbeit, um
mir ein paar schöne Sachen zu kaufen!
Doch
meine Bewerbungen haben keine Resonanz. Ich dachte, wir sind in Berlin
gelandet. Es ist aber noch immer der Rand der Welt. Der Rand der Verzweiflung.
30.6.1993.
Ich traue meinen Augen nicht. Lora und Paul spielen im Hof Fußball. Sie sind
bester Laune, lachen. Es klingt wie Musik in meinen Ohren. Ich kann mich nicht
satt sehen an diesem Bild.
Eine
Menge Ballast fällt von mir ab. Als wäre es die befreiende Dusche, die ich
schon immer erwartet hatte.
Paul
wird nie ahnen, mit wie wenig Aufwand er mich froh und unbeschwert machen
könnte. Selbst wenn ich ihm das erklären würde, bis morgen würde er es
vergessen.
1.7.1993.
Paul hat Lora eine Schaukel gebastelt und diese an den Birnbaum gehängt. Dieser
Friede ist etwas, das ich kaum fassen kann. Dabei merke ich, wie ich selbst in
den letzten Tagen nur noch genörgelt hatte und an ihnen bei jedem ihrer Schritt
etwas auszusetzen hatte.
Es
scheint abgefärbt zu haben. Bin ein Wolf geworden, der heulte, weil er sich
unter Wölfen fühlte.
Ich
habe es eingesehen. Schön wäre es. Wenn er das auch mal könnte.
Paul
hat ein blaues Plastikfass von Frank bekommen. Wir sehen uns an und lachen laut
los. Der gleiche Gedanke zuckt durch unseren Kopf. Genau so ein Plastikfass
stand im Sommer auf unserem Garagendach. Wir hatten zwar ein normales Bad, doch im Sommer gabs Fassduschen. Den ganzen Tag über wärmte uns die
Sonne das Wasser und abends hatten wir es bereit zum Duschen.
Paul
macht sich an die Arbeit. In einer Stunde haben wir endlich unsere eigene
Dusche sogar mit Kabine. Selbst Frank wird neidisch.
6.7.1993.
Heute habe ich von Carina einen Brief bekommen. Sie hat für uns eine Wohnung
irgendwo im Westen gefunden. In Leun. Wir sollen bloß kommen, weiter wird sie
uns dann helfen.
Ich
schöpfe neue Hoffnung, neue Kraft.
Vielleicht
wäre es doch gut, wenn wir paar Monate auf unserem Hintern sitzen bleiben
würden. Nicht immer gleich wegziehen, wenn es brenzlig wird. Doch ich fühle,
ich muss was unternehmen. So gehe ich zugrunde.
7.7.1993.
Lora begleitet mich zum Hauptbahnhof. Eine halbe Stunde stehen wir am Schalter
für einen Ausdruck. Dann an einem anderen Schalter um Fahrscheine. Und als mir
die Fahrscheine ausgehändigt werden, kann ich nicht bezahlen. In meiner
Naivität dachte ich 250 DM würden genügen. Welch ein Wahn. Hin und zurück
kostet es das Doppelte.
Meine
Enttäuschung und Scham ist so groß, als ich die Fahrscheine zurückgeben muss,
dass ich am liebsten in den Erdboden versinken möchte. Ich bin einer Ohnmacht
nahe, schon weil es in der Halle so rasend schwül ist. Ich kriege fast einen
Kreislaufkollaps.
Als
ich mich zu Hause wieder etwas beruhige, glaube ich fest daran, dass sicherlich
die Vorsehung es so wollte. Ich muss nur Geduld aufbringen. Irgendwann wird
sich schon etwas ergeben.
12.7.1993.
Aus irgendwelchen Gründen hat uns das Arbeitsamt wieder mal das Geld
gestrichen. Ich kann es nicht fassen. Wir sind auch nicht mehr
krankenversichert.
Nachmittags
habe ich so heftige Bauchschmerzen, dass ich kaum noch aufrecht gehen kann.
Hab
ich mein Leben in Rumänien leichtsinnig aufs Spiel gesetzt? Ich bin hier
unglücklich. Doch wenn ich an die Verwandtschaft meines Mannes denke, die sich
ständig in unser Leben eingemischt hatte, dann fühle ich, dass ich zwischen
Böse und Schlecht nicht weiß, welche Alternative die Bessere wäre.
16.7.1993.
Meine Bauchschmerzen wollen nicht enden.
Paul
besteht darauf, dass wir Oma täglich zum Mittagessen zu uns holen. Ich wehre
mich vehement. Er kann ihr das Essen rüber bringen, aber ich will unser
Gedränge in der Küche nicht übertreiben. Und außerdem, Oma soll die Gelegenheit
haben, mein Essen wegzuschütten, wenn sie es nicht mag. Und nicht vor meinen
Augen die Nase rümpfen müssen. Unsere Küche ist sicherlich anders, als sie es
gewohnt ist. Ich werde mir nicht wegen Oma jeden Tag Gedanken machen, ob es ihr
schmeckt, ob sie das überhaupt essen darf usw. Mich dann täglich in meiner
Arbeit gestört fühlen, weil jemand da sitzt und sich nicht mehr wegbewegen
will.
Jetzt
bin ich wieder die Böse. Ich frage mich dann besorgt, bin ich wirklich eine
Egoistin?
17.61993.
Die Schmerzen hören nicht mehr auf. Ich müsste zu einem Arzt.
Ich
höre das Leben an mir sinnlos vorbeirauschen.
21.7.1993.
Endlich eine positive Antwort auf meine Bewerbungen. Eine Hauswartstelle wäre
in der G.straße frei. Im Westteil der Stadt. Im Zentrum. Zwei Zimmer, Küche,
Bad!!! Es ist ein Seniorenwohnhaus.
Zuerst
schrecke ich zurück. Ich komme aus der Seniorennummer nicht mehr raus. Aber wir
müssen es mal näher betrachten. Vielleicht ist es nicht so schlimm. Und ich
brauche dringend eine Aufgabe.
22.7.1993.
Hatten heute schon unser Vorstellungsgespräch. Ein riesiges Möbelhaus. Da drin
die Hausverwaltung. Beeindruckend. Ein Luxus, wie ich ihn noch nie erlebt habe.
Eine
Dame und ein Herr nehmen uns unter die Lupe. Ich erzähle kurz unsere Geschichte
und dass wir auch unbedingt eine menschenwürdige Wohnung brauchen. Ich weiß
nicht, ob ich das, was ich sage, sagen sollte. Aber wir bekommen die Zusage.
Dann
führt uns diese Frau Wiener durch das Haus, in dem wir wohnen werden.
Ich
erschrecke zwar von den Dimensionen, wenn ich dran denke, das hier alles sauber
zu machen. Aber erstmals verdränge ich meine Ängste.
Die
Wohnung in dem Parterre ist nicht sehr groß, aber sie hat gerade Wände, ein
stabiles Dach auf der siebenten Etage, Zentralheizung, keinen Klogeruch und
endlich ein ordentliches Bad.
Wir
erklären uns einverstanden.
Die
Wohnung wird aber erst am 1. September frei. Tut nichts. Hauptsache im Winter
sitzen wir im Warmen. Die Gegend, obwohl inmitten der Großstadt, ist sehr
ruhig.
23.7.1993.
Lora lebt an den Wochenenden, wenn Anna kommt, förmlich auf. Sie jammert schon,
dass wir wieder umziehen. Sie tut mir so leid, aber es muss doch irgendwann mal
zu Ende gehen mit diesem ewigen Umziehen.
Frank
hat mich mit Frau Dr. Wehnert bekannt gemacht. Sie kommt Oma öfter besuchen und
sie hat mir auch gleich einen Termin gemacht. Auch ohne Versicherung.
26.7.1993.
Habe heute einen Ultraschalltermin. Zum Glück wird nichts gefunden.
Ganz
schöner Tag heute. Und die Blumen vor dem Haus sind alle in voller Blüte.
Ich
komme an den Nussbäumen vor dem Haus vorbei. Nussbäume wie in Rumänien. Sie
sprechen keine andere Sprache. Säuseln gleich im Winde und haben einen
kräftigen Stamm, dass man sie am liebsten umarmen möchte. Schutz suchen möchte,
weil sie so vertraut sind.
27.7.1993.
Kuhl ist aus Frankreich zurück. Am Wochenende können wir in sein Ferienhaus,
Als er hört, dass wir eine Wohnung und Arbeit gefunden haben, scheint er sich
aufrichtig zu freuen. Also, zugegeben, wenn er nicht gewesen wäre, säßen wir
sicherlich noch immer in Wohldorf.
30.7.1993.
Dieses Arbeitsamt macht mich verrückt. Paul bekommt noch drei Monate lang
Eingliederungsgeld, ich nicht. Obwohl wir zusammen eingereist sind.
Ich
bekomme wieder Bauchschmerzen.
Beim
Arbeitsamt erfahre ich, dass ich, obwohl ich keinen Anspruch auf
Arbeitslosenhilfe habe, einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe machen muss. Wenn
der dann nicht bewilligt wird, bekomme ich Sozialhilfe.
Und
dann kann ich auch wieder zum Arzt gehen. Was bei den einsetzenden starken
Blutungen jetzt recht dringend wäre.
Mann!
Bei der Gesetzlosigkeit in Rumänien habe ich mich fast wohler gefühlt, als hier
mit diesem Gesetzeschaos. Ich blicke hier nicht mehr durch.
31.7.1993.
Es schüttet wie aus Eimern. Mit schwerem Gepäck ziehen wir durch halb
Brandenburg zu Kuhls Ferienhaus. Mit Anna und Lora im Schlepptau. Mein gesundheitlicher
Zustand fährt Achterbahn.
Wir
sollen die Türen und die Decke streichen, auf der Terrasse Farbreste entfernen.
Paul
schimpft mal wieder. Die Decke will die Farbe nicht annehmen. Dann haben wir
irgendwann keine mehr und müssen mit dem Streichen aufhören.
Wir
spazieren mit den Kindern durch die Kolonie. Überall gepflegte Gärten, Stille.
Man ahnt, dass sich die Menschen hier gut fühlen. Trotz schöner Umgebung fühle
ich mich hingegen recht einsam. Wie auf Spitzbergen. Es scheint, dass hier
jeder für sich lebt und von dem Nachbar kaum etwas mitbekommt. Auch an das muss
ich mich gewöhnen.
So
recht können wir uns über dieses Wochenende nicht freuen.
1.8.1993.
Meine Bauchschmerzen sind fast unerträglich. Mit dem schweren Gepäck geht es
wieder den endlosen Weg zur Straßenbahn zurück.
Ich
bin enttäuscht und von düsteren Gefühlen geplagt.
17.8.1993.
Frau Wiener hat mir geschrieben, ich möge sie anrufen. Das mache ich auch.
Sie
weiß, dass wir Möbel brauchen können. Ein Mann sei im Haus verstorben. Wir können
uns mal den ganzen Hausrat ansehen. Vielleicht findet sich was, was wir
verwerten können.
Zuerst
habe ich ein nicht sehr erbauliches Gefühl. In einer fremden Wohnung und noch
eines Verstorbenen nach Sachen zu suchen, die wir nachher selbst benützen? Doch
ich fühle mich irgendwie verpflichtet ja zu sagen. Das Angebot ist gut gemeint.
Und doch auch schön, dass sich jemand den Kopf über uns zerbricht.
Erstmals
denke ich mit Besorgnis an diese Hauswartstelle. Wie soll ich die Arbeit
schaffen mit diesen schrecklichen Schmerzen und den ewigen Blutungen?
18.8.1993.
Muss zur Ausschabung. Es läuft mir kalt über den Rücken, wenn ich dran denke,
dass ich schon in Rumänien eine machen musste. Und das ohne Betäubung.
Betäubungsmittel gab es nämlich zu der Zeit nicht. Wahrscheinlich nur für
normale Sterbliche nicht.
23.8.1993.
Wir warten vor dem Haus in der G.straße auf Frau Wiener. Sie kommt pünktlich.
In
der Wohnung des Verstorbenen sieht es recht ordentlich aus. Bin beruhigt.
Frau
Wiener lässt uns allein. Ich fühle mich hier gar nicht wohl. Nur zaghaft
schauen wir uns um. Entscheiden uns für die Couch und den beiden Sesseln. Der
Wandschrank ist auch geräumig und stabiler als der von Kuhls Sohn. Und das
schöne Bild mit den rasenden drei Pferden gefällt mir. Das reicht.
Es
klingelt.
Eine
alte Frau mit einem Gehstock steht vor uns. Ach nee, sie ist schon in der
Wohnung.
"Ich
bin die Frau Schreiber", sagt sie, ohne zu grüßen. Sie zieht eine
Schublade der Kommode im Vorzimmer auf. " Das sind meine
Tischtücher".
Sie
räumt die Schublade aus und stapelt die schönen Damasttischtücher auf der
Kommode.
"Haben
Sie hinter der Couch und in den Sesselritzen nachgeschaut, ob da nicht Geld
versteckt ist?"
Ich
bin wie versteinert. Weiß nicht, wie mir geschieht. Paul hat auch ein etwas
dämliches Gesicht.
"Nee,
haben wir nicht", sage ich" wenn Sie wollen, dürfen Sie es tun".
"Ja
ist gut."
Dann
greift sie sich die Tischtücher und geht wieder grußlos davon.
Wir
bleiben wie vom Donner gerührt zurück. Wenn es hier noch mehr von diesen Exemplaren
gibt, dann schwant mir nichts Gutes
Um
ehrlich zu sein, jetzt tut es mir leid, dass nicht ich die Schublade vor dem
Erscheinen dieses Drachen geöffnet habe. Die wunderschönen Damastdecken!
Wir
beginnen die Schubladen am Wandschrank auszuräumen. Geld und Reichtümer sind da
nicht. Eine Menge Papiere, Rechnungen, Krimskrams.
Nach
zwei Stunden haben wir alles, was wir an Möbel brauchen, gesäubert und
auszugsbereit aufgestellt.
27.8.1993.
Bin so stark erkältet, dass ich mich am liebsten hinlegen würde. Alle Knochen
schmerzen mir. Ich muss aber fit bleiben, denn morgen kommen unsre bayrischen
Freunde. Rosie, ihr Mann Franz, ihre Kinder, Florian und Elfriede und die
kleine Kathrin.
Ich
hoffe, ich werde dieser Herausforderung gerecht.
28.8.1993.
Meine Bayern sind nett wie auch damals bei unserem Besuch. Obwohl es bei uns
sehr eng ist, fühlen sie sich gleich pudelwohl.
Nur
ich bin mit meinem brummenden Kopf und der laufenden Nase gar nicht gut drauf.
Wie ich fünf Menschen mehr bei guter Laune halten kann, ist mir ein Rätsel.
Frank
ist, wie schon so oft, mein rettender Engel. Während Franz und Florian zur
Funkausstellung fahren, nimmt er die drei Mädels und fährt mit ihnen und Lora
an den Müggelsee.
Wenigstens
kann ich mein Szegediner Gulasch jetzt in Ruhe kochen und hoffen, dass es ihnen
schmeckt.
Am
Nachmittag sind die Kinder im Garten mit Ball- und Versteckspielen beschäftigt
und wir älteren machen es uns auf unserer Terrasse bei Kaffee und Kuchen
gemütlich.
Auf
Loras ausziehbarer Couch müssen dann alle fünf die Nacht verbringen. Keiner
jammert. Sie fühlen sich alle wohl.
29.8.1993.
Morgens 7 Uhr fahren meine Gäste wieder nach Hause. Sie haben alle gut
geschlafen. Nur Florian tut mir leid. Scheinbar hat mein Gulasch nicht nur gut
geschmeckt. Ihm hat es etwas arg zugesetzt. Es geht ihm gar nicht gut. Ich gebe
ihm eine Packung Verdauungspräparate auf den Weg und hoffe, dass er den Heimweg
gut übersteht.
Lora
ist enttäuscht. Scheinbar hat Kathrin ihre so geliebte Barbie entführt. Die ist
nämlich im ganzen Haus nicht aufzutreiben.
Ich
bin auch nicht glücklich bei diesem Gedanken. Doch Rosi hat mir auf den Tisch
im Wohnzimmer heimlich 45 DM gelegt. Da muss halt als Erstes eine neue Barbie
her.
31.8.1993.
Unser Vormieter hat uns eine intakte Couch, einen Vorzimmerschrank, Gardinen
und andere Kleinigkeiten gegen eine Abstandssumme von 2400 DM überlassen. Das
Sozialamt hat das übernommen, aber mir blutet das Herz, als ich ihm das Geld
überreiche. Ich habe dabei so ein Gefühl, als hätte ich hier ein ganz
schlechtes Geschäft gemacht.
Aber
das ist bei mir ja nichts Neues. Was ich am besten kann, sind eben schlechte
Geschäfte zu machen.