27.6.23

Sprühregen


Heute Morgen um sechs ziehe ich die Rollos hoch und lege mich ins Bett zurück. Von da kann ich das Bermudadreieck am Himmel beobachten, wo sich vorgestern die Wolken in nichts aufgelöst hatten. Doch heute treibt der kalte Wind die Quellwolken im Laufschritt drüber und keine einzige Wolke hat das Bedürfnis. sich aufzulösen.
Da fällt mir eine Geschichte ein, eine wahre Geschichte. Denn alle Geschichten, die ich hier auf meinen Blogs erzähle, sind wahre Geschichten, nichts dazu gedichtet, nur der Wortwechsel ist halt nicht identisch, weil ich mir unmöglich merken kann, wie genau und wortwörtlich die Unterhaltung abgelaufen ist. Geschichten erfinden, das kann ich gar nicht.

Also, es war ein wunderschöner Sommernachmittag mit glasklarem Himmel. Ich saß auf der Bank in Hof, dem Hochbeet gegenüber, in dem drei prächtige Tannen, zwei immergrüne Eichen, namenlose Büsche, Hortensien und andere Blümchen das Auge erfreuten.
Meist saß ich alleine da, nur hin und wieder kam mein Mann dazu, oder eine Nachbarin, die ihren Müll in den Mülltonnen hinter den Büschen und Tannen entsorgt hatte.
Für mich waren das die schönsten Momente am Tag.
Eines Tages schien es mir, als würde 2-3m vor mir ein Sprühregen fallen. Meine Augen spielen mir öfters komische Sachen vor und ich dachte mir, wieder so eine Sehstörung.
Doch dann merkte ich, dass auf dem Gehweg die Platten Spuren von Tropfen aufweisen. Ich ging hin und fühlte den Sprühregen auf meiner Haut. Die Tropfen waren nur ganz fein zu sehen und dehnten sich in einem Radius von 4-5m aus. Darüber war der Himmel absolut wolkenlos. Es dauerte eine ganze Weile und ich dachte mir, irgendein Nachbar besprüht seine Blumen oder auf dem flachen Dach unseres Hauses war noch eine Pfütze vom vergangenen Regen und der Wind, der unten nicht zu spüren war, treibt diese paar Tropfen über das Beet. Damit war die Sache gegessen.

Ich weiß nicht mehr, ob es noch am nächsten Tag oder später war, dass dieses Phänomen sich wiederholte. Damals saß mein Mann neben mir und dachte sich auch nicht viel dabei.
Ich ging etwas weiter weg, um die Fenster zu beobachten. Einige standen offen, einige waren geschlossen, aber niemanden sah ich irgendwo im Fenster stehen und Blumen gießen.
Dieses Phänomen wiederholte sich an wolkenlosen Tagen, in verschiedenen Abständen, den ganzen Sommer hindurch. Außer meinem Mann und mir hatte niemand diesen Sprühregen wahrgenommen und ich hatte mich gehütet, über dieses komische Getröpfel zu sprechen. Genoss es nur und staunte.

Im nächsten Sommer kam mein Mann eines Tages hereingestürmt und sagte „es geht wieder los!“ Ich wusste nicht so recht, was er meinte und ging unschlüssig hinter ihm her. Er blieb am Fenster im Flur stehen und deutete hinaus. Ich stand da, guckte raus und wusste nicht genau, was los war. Erst nach einer Zeit ging mir ein Licht auf. Bei klarem Himmel wieder der Sprühregen.
Ich faste seine Hand und sagte „Komm wir gehen aufs Dach rauf. Ich will wissen, was da los ist“.
In der siebenten Etage zogen wir das Klapptor nach unten und stiegen die Treppen hoch.
Und -es regnete fein und unaufdringlich. Der Himmel war klar und mir war es auch klar, da passiert etwas, das nur ein Experte, oder vielleicht auch der nicht, hätte klären können.

Der Hof wird gerade und endlich, nach drei Jahren, nachdem die Tannen gefällt wurden und alles kaputtgemacht wurde, neu gepflastert. Ich weiß nicht, was da alles noch rein gebaut wird (vielleicht auch eine neue Bank) und ich weiß auch nicht, ob wir jemals wieder dieses Phänomen beobachten können. Vielleicht hatten ja unsere hohen Tannen eine besondere Kraft, oder die wunderschönen Hortensien, oder, wer weiß das schon, vielleicht waren wir ja diejenigen, die der Himmel beglücken wollte. Naja, Hirngespinste eben, die man sich so macht, wenn man keine Erklärung für etwas hat.


Wenn ich mich wieder in das Fenster lümmeln kann, ohne auf Schuttberge und Schutzgitter!  zu gucken (drei Jahre saß ich hinter Gittern und bin dankbar, dass es nicht lebenslänglich wurde) werde ich vielleicht feststellen können, ob der Himmel über uns tatsächlich seine Eigenheiten hat, oder die Stadt selbst den Himmel in Unsicherheit versetzt.
Mein Mann erzählt diese Geschichte immer wieder jedem, der sich mal einfindet bei uns. Ich nicke nur dazu, habe mich bis jetzt aber gehütet, davon zu sprechen, weil ich mir dachte, im Geiste zeigt mir jeder den Vogel.
Nachdem ich mir heute im Internet über dieses Phänomen vorlesen ließ, traue ich mich endlich, darüber zu sprechen. Juhuu! Wir sind nicht verrückt, denn wenn, dann sind es alle im Internet, die schon das Gleiche erlebt haben.

Meine Geschichten sind immer wahre Geschichten, denn ich kann ja gar keine Geschichten erfinden.