3.7.23

Eine sturmfreie Woche allen!


Die Regenwürmer

Es war ein wunderschöner Sommertag 1982.
Gerade von der Arbeit gekommen, stellte ich mein Fahrrad im Hof ab und begab mich ins Haus, um mich um zu kleiden.
Am Nachhauseweg hörte ich hinter mir, aus der Ferne, ohne dass ich zurückgeschaut hätte, das leise Donnern und wusste schon, dass irgendwo in der Nähe ein Gewitter ist. Dass es aber so schnell auch hier los geht, konnte ich nicht wissen. Kaum, dass ich über die Schwelle gekommen war, flogen schon Zweige und ganze Äste über den Hof, rollten Pflaumen, halbreife Äpfel und Birnen durcheinander. Ich schloss entsetzt die Tür und sah, wie das halbe Dach vom Haus des Nachbarn gegenüber einfach wegflog und vom dem seines Nachbarn nebenan sich Ziegeln vom Dach lösten. Die Bäume auf der Straße konnten sich kaum halten und als ich ans Fenster lief, das gegen den Hof lag, sah ich weit draußen im Garten, wie sich die Pflaumenbäume lichteten und Teile von ihnen durch die Luft flogen.
Scheinbar war niemand zu Hause und ich fürchtete, dass die Kinder, oder sonst jemand aus der Familien, von diesem Sturm im Freien erwischt wurden. Regen prasselte wie verrückt an die Scheiben und ich erwartete jede Minute, dass irgendetwas dagegen prallt.
So schnell wie der Sturm gekommen war, ebbte er auch ab.
Ich ging in den Hof hinaus und konnte es nicht fassen, wie so ein Chaos in paar Minuten entstehen konnte. Zuerst sah ich nach oben, doch das Haus war unversehrt geblieben. Dann ging ich in den Garten und sah, dass drei Pflaumenbäume samt ihren Wurzeln quer über die Bete lagen. Ich traute mich kaum zum Gewächshaus rüber zu schauen, wo meine riesigen wunderschönen Tomaten bis vor kurzem dufteten.
Es war schön zu sehen, dass die Werkstatt und der Schuppen dahinter das Schlimmste verhindert hatten. Zwischen den quadratisch angebrachten Metallstäben auf dem Dach des Gewächshauses hatten sich nur Beulen gebildet, die voller Wasser ins Innere hingen.
Ich nahm einen Besen und drückte von innen die Blasen hoch, damit das Wasser abfließen kann.
Erst nach einiger Zeit ist mir aufgefallen, dass sich in fast allen Minischwimmbecken eine Menge Regenwürmer angesammelt hatten.
Mein Mann kam gerade nach Hause und sah sich entsetzt um. Ich zeigte ihm, was ich alles an Schäden schon vorher entdeckt hatte. Dann sagte ich ihm: „Du, ich glaube, es hat Regenwürmer geregnet“.
Er sah mich konsterniert und belustigt an.
Und ich erzählte ihm die Sache mit dem Gewächshaus und den Kriech- und Wühltieren.
Rede keinen Unsinn. Woher sollen die Regenwürmer gekommen sein?“
Sie waren da. Und sie sind auf keinem Fall hochgekrochen, um ein Sonnenbad zu nehmen. Auf der glitschigen Plane wären sie doch heruntergefallen. Außerdem habe ich noch nie Regenwürmern nach oben kriechen gesehen. Hast du eine andere Erklärung?“
Sag das bloß keinem, sonst könnte man dich verdächtigen, der Sturm hätte bei dir auch Schäden hinterlassen.“
Ich war richtig gekränkt, doch froh, dass die Familienmitglieder einzeln eintrafen. Wir begannen den Hof zu säubern. Alle sprachen durcheinander, erzählten, wie und wo sie den Sturm erlebt hatten, doch ich war in Gedanken bei den Regenwürmern.
Herrgott, ich wusste doch, was ich gesehen hatte! Tatsache war, dass ich selbst bezweifelte, dass es nicht nur Wasser regnen kann. Wie sollten die Viecher in die Wolken gelangt sein? Und wenn schon, sie sind schwerer als ein Regentropfen und hätten sich zumindest in Ungarn ausgeregnet. Doch es nicht bis exakt auf mein Gewächshaus geschafft.
Da fiel mir ein, dass der Sturm die Pflaumenbäume entwurzelt hatte. In der Grube und um den Wurzeln herum war da wahrscheinlich alles voller loser Erde, samt Regenwürmern. Der Sturm hatte nicht nur die Äste durch den Hof getrieben, sondern auch die Erde mit den Regenwürmern. Auf dem Flug hatte der Regen wohl die Erde zersetzt und die unfreiwilligen Schwimmer landeten -zig Metern weiter auf dem Gewächshaus.
Ich hatte für mich die Lösung gefunden und war überglücklich, dass das zermürbende Gedankenkarussell endlich aufhörte.
Ein Nachbar ging vorbei und rief über den Zaun: „Euch hat es auch ordentlich erwischt.“
Immerhin nicht wie die da drüben,“ rief mein Mann zurück.
Oh, ich hab mir das Desaster angeschaut. Da sind einige recht schlimm davongekommen.“
Mein Mann näherte sich ihm und sie quatschten angeregt miteinander.
Und plötzlich, ich traute meinen Ohren nicht, sagte mein Mann mit ernster Stimme:
Du, stell dir vor! Es hatte sogar Regenwürmer geregnet!“

Leider hatte ich das Gesicht des Nachbarn nicht gesehen.

Lisa Nicolis